Projekttagebuch zum Literaturprojekt „Ich knall euch ab“ von Morton Rhue im Werkstattjahr, Dienstag 16.03.2010, Teil 2

Die Durchführung

Ich war mir nicht sicher, wie das Projekt oder überhaupt die Idee während einer Berufsvorbereitung im Metallbereich ein Buch zu lesen und zu besprechen ankommen würde. Die Wirkung hat mich im Nach hinein mehr als umgehauen.

Aber der Reihe nach.

Ein wenig an Vorbereitung war vor dem Start doch notwendig. Da ich nicht die Möglichkeit hatte, für jeden ein Buch bereit zu halten und die Teilnehmer auf Grund von finanziellen Engpässen ihrerseits es sich nicht kaufen konnten, habe ich die ersten 35 Seiten für die erste Einheit für alle kopiert.  Außerdem sollten die Teilnehmer einen Liedtext erhalten. Dann musste der Raum präpariert werden. Alle Tische kamen an die Wand und in der Mitte habe ich einen Stuhlkreis gestellt. In der Mitte des Kreises lagen verschiedene Gegenstände auf dem Boden: Das Foto einer Pistole, ein Kugelschreiber, eine Videokassette, eine CD, eine Flasche, ein Computerspiel, ein Werbeprospekt und ein Poster mit der Aufschrift „Gewalt hat viele Gesichter“.

Um 10:00 Uhr haben wir angefangen. Die Jugendlichen sollten sich einen Gegenstand aus der Mitte nehmen und sich kurz dazu äußern, was der gewählte Gegenstand mit Gewalt zu tun hat. Ich habe mich in dieser Einführungsphase bewußt zurück genommen, weder bewertet noch kommentiert, sondern nur die sehr angeregte Diskussion ein wenig moderiert.

Nachdem alle ihre Gegenstände wieder abgelegt hatten, habe ich die Textblätter zu Bohemian Rhapsody von Queen ausgeteilt und den Song abgespielt. Es war zwar nicht ganz ihre Musikrichtung, aber sie haben sich bemüht, den Text mit zu lesen. Die ganze Atmosphäre habe ich als sehr angenehm empfunden. Während der Song lief, habe ich die Gegenstände, die im Buch keine Rolle spielen, entfernt, eine Kopie des Titels, verschiedene Zitate aus den Abschiedsbriefen und ein Poster mit den beteiligten Personen hinzu gefügt. Die Teilnehmer sollten dann anhand des Songtextes und der Gestaltung der Mitte assoziieren, womit sich das Buch beschäftigt. Der Begriff „Amoklauf“ fiel sehr schnell und die Jugendlichen nutzten die Gelegenheit, zu erzählen, was sie darüber wussten. Im Anschluss habe ich Schnellhefter und die ersten Textkopien verteilt. Dann haben wir angefangen, uns gegenseitig vorzulesen, jeder so viel wie er konnte/wollte. Die Struktur des Buches (aneinander gereihte Interviews und Statements) war für die Teilnehmer erst mal gewöhnungsbedürftig. Aber der Autor schafft es, Spannung aufzubauen und das machte sich bei den Jugendlichen bemerkbar. Um 11:30 sollte dann wieder praktisch gearbeitet werden.

Bis zur Mittagspause wurde ich noch einige Male gefragt, ob man denn nicht weiter lesen könne. Ich hatte das gemeinsame Lesen eigentlich nur zur Einstimmung geplant und wollte das Buch zu Hause lesen lassen, habe aber dann kurz entschlossen umdisponiert. Wir haben uns dann noch mal von 15:00 bis zum Feierabend um 16:00 Uhr zum Vorlesen getroffen. Das Thema an sich und das Buch stoßen bei den Jugendlichen auf großes Interesse. Die Themen Mobbing und Ausgrenzung sind sehr präsent und berühren Einzelne auch persönlich. Die Atmosphäre beim zweiten Lesen war konzentriert und ruhig. Die Jungs haben sich gegenseitig beim Lesen unterstützt, schwer verständliche Begriffe untereinander geklärt. Ich habe dann die nächsten Seiten des Buches kopiert und dabei einen der Teilnehmer zu einem anderen, der nicht zur Gruppe gehört, sagen hören: „Ey, wir lesen ein echt geiles Buch.“


Projekttagebuch zum Literaturprojekt „Ich knall euch ab“ von Morton Rhue im Werkstattjahr, Dienstag 16.03.2010, Teil 1

Ich hatte im letzten Jahr schon geplant, mit meiner Werkstattjahrgruppe das Buch „Ich knall euch ab“ von Morton Rhue zu lesen und anhand der Materialien zur Unterrichtspraxis nicht nur die Beschäftigung mit Literatur zu provozieren sondern auch die Themen Gewalt, Mobbing und Ausgrenzung anzureißen und zu bearbeiten. Es ist leider aus Zeitgründen nicht dazu gekommen (oder war´s Prokrastination?), so dass ich das Projekt in diesem Jahr auf jeden Fall in Angriff nehmen wollte. 

Es macht Sinn, das Ganze ein wenig zu strukturieren und zum Verständnis erst etwas zu 

– den Rahmenbedingungen, 

– der Gruppe und 

– dem Material 

zu sagen. Im Anschluss daran beschreibe ich – wenn auch wahrscheinlich nicht immer termingenau – tagebuchmäßig die Erlebnisse und Ereignisse bei der Durchführung. Bei den nächsten Tagebucheintragungen beschränke ich mich dann aber auf die aktuellen Ereignisse. 

Die Rahmenbedingungen  

  • Ort: Die Außenstelle eines Bildungsträgers/Lehrwerkstatt der Metall- und Elektroindustrie. Hier werden nur Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und Berufsorientierung für Jugendliche durchgeführt. Es ist ein kleiner Standort mit etwa 40 Plätzen, 2 Pädagoginnen und 2 Ausbildern.
  • Zeitschiene: Angedacht habe ich für das Projekt 4 Wochen; wobei ich der Tatsache Rechnung tragen muss, dass Donnerstags und Freitags Berufsschulunterricht stattfindet. An dem Thema und der Literaturvorlage soll an 2 Tagen in der Woche jeweils 2 bis maximal 3 Zeitstunden gearbeitet werden. Vorgesehen sind also 16 bis maximal 24 Zeitstunden. Diese Zeitschiene soll als grobes Raster und zur Orientierung dienen.

Die Gruppe  

Bei der Gruppe handelt es sich um das Werkstattjahr-NRW. Das Werkstattjahr ist eine Maßnahme, die es in dieser Form nur in NRW gibt, für noch berufsschulpflichtige Jugendliche der KSoB-Klassen (Klassen für Schülerinnen und Schüler ohne Berufsausbildung). Es nehmen zur Zeit 7 Teilnehmer im Alter von 17 bis 18 Jahren teil. 6 Teilnehmer haben keinen Schulabschluss und 1 Teilnehmer hat den Hauptschulabschluss nach Klasse 10. Die Gruppe ist also relativ homogen. Alle Teilnehmer geben an, sehr wenig oder überhaupt nicht zu lesen.

Das Material

Grundlage ist das Buch von Morton Rhue „Ich knall euch ab“ und die dazu gehörenden Materialien für die Unterrichtspraxis aus dem Ravensburger Buchverlag. Zum Inhalt des Buches: „Gary und Brendan sind Schüler einer amerikanischen Highschool in Middletown. Die beiden werden von mehreren Football-Spielern, den Stars der Schule, gedemütigt und terrorisiert. die Lehrer schauen weg. Während der drei Jahre als Außenseiter (7. – 10. Schuljahr) reift in den Köpfen der beiden der Plan, es ihren Mitschülern und Lehrern – nach dem Vorbild der Amokläufer von Littleton – heimzuzahlen. Sie planen ein Attentat auf die Besucher des Schulballs in der Turnhalle. … In einer chronologischen Struktur nach Klassenstufen (7. – 10. Schuljahr) geordnet, erfährt man durch die Aneinanderreihung verschiedener Statements die Leidensgeschichte der beiden Attentäter. Diese sind mit den Gedanken von Gary und Brendan aus Chats und E-Mails ergänzt. …“  (Auszug aus den Materialien zur Unterrichtspraxis, Ravensburg 2003)

Das Material ist fast sofort einsetzbar. Es ist nur wenig Vorbereitung notwendig. Da es eigentlich für den Deutschunterricht an Schulen konzipiert wurde, werde ich im Einsatz mit meiner Teilnehmergruppe die handlungsorientierten Aspekte und die praktische Auseinandersetzung
mit Gewaltprävention in den Vordergrund stellen. Zentrales methodisches Element ist neben dem Lesen des Buches die „Lerntheke“ (das eigenständige Bearbeiten von Pflicht- und Wahlstationen). Wie das im einzelnen aussieht erkläre ich im Laufe des Projektes. Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit Gewalt, Mobbing, Ausgrenzung und verwandten Themen durch Spiele und Übungen. Diese sind nicht in den Materialien enthalten, sondern werden von mir zusätzlich angeboten.

Nachdem dieser allgemeine Teil doch etwas lang geraten ist, entscheide ich mich, die Durchführung im nächsten Artikel zu beschreiben.